Rede von Wolfgang Kuebart „Anrüchige Geschäfte, Cross-Border-Leasing und die S-21-Abwasserdüker auf der 281. Montagsdemo am 27.7.2015

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Liebe unentwegte Montagsdemonstranten,

seit einigen Wochen ist Cross-Border-Leasing in der Tagespresse wieder ein Thema geworden, zum Beispiel durch Leipzig, Heidenheim und auch durch Stuttgart. Cross-Border-Leasing ist derart komplex, dass dafür ein eigener Vortrag nötig wäre (Wikipedia benötigt z.B. 3 Din A-4-Seiten, um die elementarsten Grundzüge zu erläutern). Ich möchte daher heute nur erläutern, warum es für uns Stuttgarter Kopfbahnhoffreunde wichtig ist.

Im Jahr 2002 hat die Stadt Stuttgart ihr Kanalnetz an einen amerikanischen Investor für knapp 100 Jahre vermietet, um es für zunächst knapp 30 Jahre zurück zu mieten. Die Vertragsbedingungen sind so gestaltet, dass das Kanalnetz im Wert von etwa 450 bis 550 Millionen Euro in den USA als Investition betrachtet wird, so dass dort Steuerersparnisse erzielt werden können, obwohl hier kein Euro mehr in das ja bereits bestehende Leitungsnetz investiert wird. Diese Steuerersparnisse teilen sich etwa 10 beteiligte Finanzinstitute (Versicherungen, Banken und eine eigens dafür gegründete Briefkastenfirma in einer Steueroase) und die etwa 20 Beraterfirmen (Finanzberater, Anwalts­kanzleien). Stuttgart bekam damals, weil es ja sein Abwassernetz diesem Syndikat von Steuersparern zur Verfügung stellte, sozusagen als Belohnung etwas mehr als 20 Millionen Euro ausbezahlt. Nun mietet es seit 2002 für mindestens 29 Jahre sein eigenes Abwassersystems zurück. Diese Konstruktion von Mieten und Zurückmieten muss man nicht verstehen. Man kann sie eigentlich auch nicht verstehen, denn die Verträge sind geheim.

Wir Ingenieure22 sind im Zusammenhang mit Stuttgart21 auf die Cross-Border-Leasing-Verträge der Stadt Stuttgart aufmerksam geworden. Über das Umweltinformationsgesetz wollten wir seit Mai 2013 Zugang zu den Verträgen bekommen. Weil die Stadt uns den Zugang nicht genehmigen wollte, klagte ich am Verwaltungsgericht Stuttgart. Mit Gert Meisel als Beistand wurde am 13. November 2014 meine Klage vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart verhandelt. Die Stadt Stuttgart wurde aufgefordert, ihre ablehnende Haltung aufzugeben und auf der bestehenden Gesetzeslage einen neuen Bescheid zu erstellen. Am 23. Juni 2015 erhielt ich endlich den neuen Bescheid, der mir das Anfertigen von Kopien von großen Teilen der Vertragsunterlagen gestattete. Zusammen mit drei Kollegen der Ingenieure22 erstellten wir am 7. Juli 2015 elektronische Kopien. In der Folgezeit wandelte ich ca. 1150 Seiten in durchsuchbare Dateien um und arbeitete mich in die Verträge ein.

Warum machen wir das alles?

Das Abwassersystem der Innenstadt wird durch den Bau des Bahnhofstrogs für Stuttgart21 durchschnitten. Allein vier Abwasserleitungen müssen durchtrennt und im Bereich des Bahnhofstroges tiefer gelegt werden. Man nennt Bauwerke, die eine große Leitung unter einem querenden Bauwerk durchführen, Düker. Hinter dem querenden Bauwerk werden die Düker wieder mit den alten Abwasserleitungen verbunden. Hans Heydemann hat schon 2013 darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem Einbau der Düker die Abflussleistung der Abwasserleitungen beeinträchtigt wird. 10 bis 20% weniger Wasser fließt durch einen Düker unter sonst vergleichbaren Hochwasser­bedingungen. Dadurch steigt die Überflutungsgefahr in der Stuttgarter Innenstadt bei Starkregen-Ereignissen. Bedingt durch den Klimawandel muss zukünftig mit einem verstärkten Auftreten solcher Ereignisse gerechnet werden (http://www.fluegel.tv/beitrag/6536). Außerdem müssen die Düker mehr gewartet werden als durchgängige Freispiegelleitungen. Hans Heydemann rechnet mit bis zu 500 000 Euro Mehraufwand pro Jahr, verursacht durch die Düker unter dem Trogbahnhof. Er hat zu den Dükern ein Gutachten erstellt und dem Tiefbauamt der Stadt Stuttgart zur Verfügung gestellt.

Hier kommen nun die Cross-Border-Leasing-Verträge ins Spiel. In vergleichbaren Cross-Border-Verträgen, deren Inhalt bisher bekannt wurde, ist es nicht erlaubt, Änderungen am System vorzunehmen, die die Gebrauchsfähigkeit beeinträchtigen. Das gilt vor allem für sogenannte Schlüsselkomponenten. Im Moment sind wir dabei, die uns vorgelegten Vertragstexte darauf hin zu analysieren, ob das auch hier der Fall ist. Wenn der Leasinggeber so einen Eingriff als Vertragsbruch wertet, kann er die Auflösung der Verträge fordern. In diesem Fall müsste die Stadt Stuttgart alle Teilnehmer des Steuersparsyndikats schadlos halten. Im Moment würde eine Auflösung der Verträge zum ungünstigsten Zeitpunkt kommen und die Stadt ca. 100 Millionen Euro kosten. Da spätestens seit den gerichtlichen Auseinandersetzungen in den USA nun auch die Steuerersparnis aus Altverträgen erheblich eingeschränkt wurde, wäre ein Vertragsbruch für den Leasinggeber eine willkommene Möglichkeit, sich mit einem guten Ergebnis aus den Verträgen zu verabschieden.

Wir haben inzwischen aus dem Vertragsstudium gesehen, dass der Nesenbachsammler in Teilen zu den Schlüsselkomponenten gehört. Außerdem sehen wir an dem schon heute vorhandenen Düker unter dem Neckar hindurch, dass Düker Schlüsselkomponenten sind. Daher ist es für uns unvorstellbar, dass man Schlüsselkomponenten durch Einbau neuer Schlüsselkomponenten ändern darf, ohne dass es dazu einer Abstimmung mit dem Leasinggeber bedarf. Außerdem betragen die Baukosten der S21- Düker geschätzt über 110 Millionen Euro. Sie erhöhen den Wert der Anlagen um rund 20 -25 %. Da am Ende der 29 Jahre Miete oder auch früher das Abwassersystem an den Leasinggeber – also an den amerikanischen Investor – fallen kann, einschließlich aller nachträglich eingebauter Zusätze, muss heute geklärt werden, wie mit den Einbauten bis 2030 verfahren wird.

Wie geht es mit der Einsicht in die Verträge weiter? Als erstes mussten wir entscheiden, ob wir uns mit dem Bescheid und den offengelegten Vertragsteilen zufrieden geben. Da die Widerspruchsfrist am letzten Donnerstag ablief, konnten wir nicht alle Vertragsteile durcharbeiten. So legte ich Wider­spruch ein, um die Frist zu wahren und forderte eine Reihe von zusätzlichen Auskünften, um besser entscheiden zu können, was uns in den nicht offengelegten Vertragsteilen vorenthalten wird und ob wir unsere Klage am Verwaltungsgericht und die Vollstreckung des Urteils weiter betreiben sollen.

Nach wie vor ist nicht ausreichend begründet, warum für die nicht offengelegten Vertragsbestand­teile und die in den ausgelieferten Teilen unkenntlich gemachten kaufmännischen und persönlichen Angaben das Geschäftsgeheimnis das öffentliche Interesse überwiegen soll. Es fällt besonders auf, dass Rating-Werte – die Kreditwürdigkeit der Finanzgeber, bewertet von Agenturen wie Standard & Poor‘s oder Moody’s – in den Verträgen ausnahmslos gelöscht wurden, obwohl in der Gemeinderats­drucksache von 2002 Ratingwerte genannt werden, ab denen die Finanzierungspartner gewechselt werden müssen. Warum? Dass dies offensichtlich kritische Werte sind, völlig unabhängig vom Bau der Düker, kann man gerade am Beispiel Heidenheim hautnah erleben.

Die Ingenieure22 fordern, dass ein Eingriff in die Abwasserleitungen so lange unterbleibt, bis zweifelsfrei geklärt ist, wie mit den Düker-Einbauten bei Beendigung der Cross-Border-Leasing-Verträge umgegangen wird und dass sichergestellt ist, dass der Eingriff und die Reduzierung der Abflussleistung keinen Vertragsbruch darstellen.

Oben bleiben!