Rede von Dipl.‐Ing. Prof.Dr.Uwe Dreiss „Bürgerbeteiligung ad absurdum“ auf der 189. Montagsdemo am 16. Sept. 2013

 

Dipl.‐Ing. Prof.Dr.Uwe Dreiss, Ingenieure22, 16.9.2013

hier Rede als pdf




Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein modernes Verkehrssystem ohne Rückbau der Leistungsfähigkeit und ohne hochriskante teure Tunnelbauwerke!

 

Unter der Flagge „Bürgerbeteiligung“ haben wir schon Manches erlebt, z.B. Geissler’s Faktencheck, die Volksabstimmung und den Filderdialog. Immer mehr S21‐Gegner machen sich fachkundig auf einem der vielen Spezialgebiete und sind heut ohne weiteres in der Lage, die von der Bahn in die Diskussionen ge­schickten Fachleute in Verlegenheit bringen, aber: Nützt es was? Viele Argumen­te können von der Bahn nicht widerlegt werden; bei manchen Argumenten bemü­hen sich Bahn bzw. Landesregierung, soweit man überhaupt von ihr etwas hört, nicht einmal um Kenntnis‐ oder Stellungnahme. Das Ding wird durchgezogen; trotz bald 200 Montagsdemos, in der letzten Woche einer von ca. 300 Gegnern besuchten sich über 5 Tage hinziehenden intensiven noch nicht abgeschlossenen Erörterung und trotz der vielen immer wieder kehrenden kritischen Presseberich­te. Wut und Depression greifen um sich. Was läuft da grundsätzlich falsch?

 

Da ist zunächst der zeitliche Ablauf: Am Anfang steht die politische Absicht von ein paar einflussreichen Politikern;es folgt die parlamentarische Beratung in den verschiedenen Gremien. Dann kommt die Planung; und dann erst die Bürgerbe­teiligung in Form der sog. Einwendungen mit der anschließenden Erörterung, wie wir sie in der letzten Woche erlebt haben. Dann erst die Planfeststellung. Erst die­se ermöglicht eine Klage.

 

Je komplizierter ein Projekt ist, desto länger zieht sich dieser Ablauf hin, desto länger und intensiver kann man sich damit beschäftigen – und desto mehr werden politische, planerische und technische Fehler offenkundig. Wenn sich dann, wie gegen S21, der Widerstand formiert, geht die Schere der Meinungen immer wei­ter auseinander. Auch eine sog. frühe Öffentlichkeitsbeteiligung, wie sie seit eini­gen Monaten im Gesetz1 steht, hilft da nicht weiter. Meines Erachtens ist es drin­gend erforderlich, eine politische Initiativen auf den Weg zu bringen, die das Ziel hat, die geschilderten Verfahrensabläufe derart zu ändern, dass nach Abschluss aller Planfeststellungsverfahren einschließlich der vielen Änderungen, aber noch vor Baubeginn, noch einmal eine parlamentarische Überprüfung und Bestätigung erfolgen muss. Sicher wäre das eine weitere Hürde; das soll es aber auch sein. Spätere technische und wirtschaftliche Erkenntnisse kämen rechtzeitig zum Vor­schein. Poltische Neuorientierungen, auch etwa durch die Ergebnisse einer von einem Protest getragenen Wahl, könnten angemessen berücksichtigt werden. Auch wären vielleicht die Träger der am Anfang stehenden Entscheidung vor­sichtiger. Sie könnten nicht mehr im selben Maß wie jetzt darauf hoffen, mög­lichst früh vollendete Tatsachen zu schaffen.

______________________
1 Gemeint ist § 25 Abs. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz neuer Fassung

 

Auch die Art der Information der Öffentlichkeit muss geändert werden. Zumin­dest bei den direkt Betroffenen, z.B. bei denen, die von einem Tunnel unterfahren werden oder an deren Haus eine Logistikstraße vorbeiführt, auf der einige Jahre lange täglich einige hundert Lastwagen rollen, sollte die Auslegung der Unterla­gen in einer Behörde noch ergänzt werden durch eine unmittelbare persönliche Information, z.B. per Post. Die Veröffentlichung im Amtsblatt mit Hinweis auf eine Auslegung reicht nicht aus.

 

Auch die Auslegung selbst hat so ihre Probleme. Man sitzt einsam und verlassen vor 10 bis 20 Ordnern, gefüllt mit großformatigen Zeichnungen, Erklärungen, Gutachten, Messergebnissen ‐ alles Unterlagen, die sich an Spezialisten verschie­dener Fachgebiete und nicht an einen interessierten und bestenfalls vorinformier­ten Laien wenden. Ein Bürgerbüro, wie wir es kennen, ist da nicht das Richtige. Es müssten speziell für die Erläuterung für Nicht‐Fachleute gerichtete Informati­onsveranstaltungen und Beratungsmöglichkeiten durch sachverständige Dritte er­folgen.

 

Eine volle Woche der Erfahrung mit dem Erörterungsverfahren zur 7. Planände­rung der Planfeststellung im Abschnitt 1.1 liegt hinter uns. Die gegensätzlichen Meinungen stehen klarer als vorher einander gegenüber. Aber geklärt ist nichts.

 

Die Sitzung wurde nach 5 Tagen unterbrochen, ohne dass die m.E. entscheidende Frage auch nur andiskutiert wurde, nämlich die der verlässlichen Durchführbar­keit des gesamten Projekts, die alle Abschnitte umfassende Rechtfertigung des gesamten Plans, die sog. Planrechtfertigung. Sie ist überhaupt Voraussetzung ei­ner Planfeststellung in den einzelnen Abschnitten. Das ist so geregelt, um den Bau eines Torsos zu vermeiden. Zu dieser Rechtfertigung des gesamten Plans ge­hören außer dem jetzt 5 Tage lang diskutierten Grundwassermanagement insbe­sondere

 

‐ der Bahnhof am Flughafen einschließlich der Kompatibilität mit der S‐ Bahn,

‐ ein Brandschutz‐ und

‐ ein Entrauchungskonzept für die insgesamt über 60 km Tunnel im Stuttgarter

Stadtgebiet,

‐ die Sicherheit an den unzulässig stark geneigten Gleisen im Bahnhof und

‐ vor allem die nach wie vor umstrittene Finanzierung des täglich teurer

werdenden Projekts.

‐ Und – last not least – die Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofs, eine

Diskussion, in der sich nun endlich Land, Stadt und Bahn im Detail der

gründlichen Arbeit von Herrn Dr. Engelhardt stellen müssten.

Das ist mehr als überfällig.

 

Würde beim jetzigen Stand die Erörterung beendet, dann wäre das ein Abbruch, der auch bei allen darauf eventuell folgenden Verfahren als ein schwerwiegender Mangel angesehen werden müsste. Wir müssen unbedingt auf einer weiteren Er­örterung der noch nicht behandelten Themen bestehen.

 

Zu den negative Höhepunkten gehörten u.a. die Stellungnahmen einiger Behör­denvertreter. So ging es an einer Stelle um die Beteiligung des Eisenbahnbundes­amtes an einem Ausschuss, der sich mit den wasserrechtlichen Fragen beschäftig­te. Es ging dabei um ein Modell für die Grundwasserströmung und einem Prüf­modell, das erarbeitet wurde, um das erste Modell überprüfen sollte. Hatte dort eine Vertreterin der Behörde, die anschließend das Modell genehmigen muss, teilgenommen? Was war ihre Rolle in dem gemeinsamen Ausschuss? Fand hier eine Abstimmung zwischen den beiden Gruppen statt, von denen die eine ein Grundwasserströmungsmodell zur Nachprüfung der Funktionsfähigkeit des Mo­dells der anderen Gruppe entwickeln sollte? Wenn hier bei einer Serie von Be­sprechungen die Vertreterin einer Behörde, die nachher das Ergebnis genehmigen muss, dabei ist und dann bei der Erörterung auf eine Frage mit einem bloßen „Dazu sage ich nichts“ reagiert, ist das einfach eine Unverschämtheit, die sich auch die ansonsten sehr bemühte Verhandlungsleitung nicht hätte gefallen lassen sollen.

 

Schließlich muss ich noch etwas sagen zu dem Pumpversuch der DB, der bewei­sen sollte, dass das errechnete und dann allen weitere Berechnungen zu Grund gelegte Grundwassermodell brauchbare Ergebnisse liefert. Mitgeteilt wurde ein für 5 Tage angesetzer Langzeitversuch (schon diese Bezeichnung ist täuschend), bei dem nach drei Tagen aus nicht erklärten Gründen keine fortlaufenden Mess­punkte mehr gemessen werden konnten und dessen Messpunkte erhebliche Ab­weichungen gegenüber der errechneten Kurve aufwies! Ein solches Ergebnis nur eines (Zahlwort) Versuchs, der noch dazu während 2 von 5 Tagen auf Grund un­geklärter anderer Ereignisse keine einigermaßen verwertbare Ergebnisse lieferte, ist als Grundlage des Grundwassermanagements völlig unzureichend. Das kann weder das Regierungspräsidium noch das Eisenbahn‐Bundesamt akzeptieren.

 

Was mich persönlich am meisten störte, war die Arroganz, mit der einige der Ex­perten der Bahn auf Fragen, die ihnen nicht sachverständig genug erschienen, reagierten. Da sorgte aber ein vom BUND mitgebrachter Sachverständiger dann mit großer Gelassenheit dafür, dass diese Herrn wieder auf die Erde kamen und ihrerseits mit betroffenen Gesichtern da saßen.

 

Zurück zur Bürgerbeteiligung. Insgesamt ist sie stark verbesserungsfähig. Sie kann so nicht bleiben. Dies sei allen Politikern zum Nachdenken empfohlen.

 

Die Wahl am kommenden Sonntag bietet uns die Chance, darauf zu reagieren. Geben Sie Ihrer Erststimme einem Kandidaten, von dem Sie sicher sind, dass er in dieser Frage sich für Ihre Interessen nachhaltig einsetzt und Ihre Zweitstimme einer Partei, die dafür das richtige Umfeld bietet.

Dann könnten wir OBEN BLEIBEN.