Rede von Thilo Böhmer und Roland Morlock „Brandschutz im Fildertunnel“ auf der 6. Laufdemo in Degerloch, vom Fernsehturm zum Albplatz am 17. August 2013

Thilo Böhmer, Ingenieure22 , 17.8.2013

 

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Liebe Laufdemo-Teilnehmer

wir stehen hier im Bereich des Fernsehturms an einem symbolträchtigen Ort. Denn der Stuttgarter Fernsehturm und das Projekt Stuttgart 21 haben eine Gemeinsamkeit: Bei beiden ist der Brandschutz - zumindest im Moment - ungeklärt. Der Fernsehturm in Stuttgart war zu seiner Eröffnung im Jahre 1956 der erste seiner Art – eine bis dahin einzigartige Leistung. Nun hat ihn im März dieses Jahres der frisch gewählte OB Fritz Kuhn für den Publikumsverkehr gesperrt.
Was war passiert?

Nun, seit der Fertigstellung des Turmes haben sich die Brandschutzvorschriften geändert, wurden den gestiegenen Ansprüchen an die Sicherheit der Besucher angepaßt. Und zuletzt stellte sich heraus, daß eine Evakuierung im Brandfall über nur eine enge Wendeltreppe im Turminneren zu lange dauert und der Turm dadurch für viele Besucher zur Todesfalle werden könnte. Ein zweiter unabhängiger Fluchtweg fehlt. Zwar verfügt der Turm über eine Sprinkleranlage, doch diese würde nicht in jedem Fall helfen.

Mit der Schließung des Fernsehturms reiht sich Stuttgart in ein Ensemble weiterer Türme ein, die für den Publikumsverkehr nicht mehr geöffnet sind. Hier wären in Deutschland die Städte Nürnberg, Köln, Hamburg und Frankfurt am Main zu nennen. Im internationalen Vergleich erinnert man sich an den schweren Kabelbrand im Fernsehturm von Moskau, bei dem im Jahr 2000 dessen Inneres nahezu vollständig zerstört worden und drei Menschen ums Leben gekommen waren.

Doch warum schließt man den Fernsehturm jetzt? Die Vorschriften, die zur Schließung des Turms führten, sind jedenfalls nicht neu, sondern sie waren schon einige Jahre in Kraft. Und der SWR beteuerte, bei der erst kürzlich durchgeführten Sanierung 2011 alle Auflagen der Stadt erfüllt zu haben. Hat man es also seither mit dem Brandschutz nicht so genau genommen? Ist es plausibel, daß die ausschlaggebenden Mängel erst Anfang diesen Jahres bemerkt worden sind?

Jedenfalls stand OB Kuhn in der Öffentlichkeit sehr unter Druck. Vor allem als erster Grüner OB der Landeshauptstadt an einer Stelle, die eigentlich jahrzehntelang für einen Bewerber aus dem bürgerlich-konservativen Spektrum reserviert zu sein schien. Aber was hätte er tun sollen? Sicherheit sollte für keinen Betreiber einer öffentlichen Infrastruktur verhandelbar sein. Und wenn Sicherheit nicht gewährleistet werden kann, so muß man die Konsequenzen ziehen. Insofern hat OB Kuhn einfach konsequent gehandelt und die Gesetze und Vorschriften zum Brandschutz umgesetzt.

Hätte er weiterhin weggeschaut und wäre es zu einem Unglück gekommen, ähnlich dem Brand in Moskau im Jahr 2000, dann hätte OB Fritz Kuhn als oberster Dienstherr des Brandschutzes die volle Verantwortung gehabt. Ihm wäre es sicher nicht anders ergangen wie OB Adolf Sauerland von Duisburg nach der Love-Parade 2010. Immerhin: Man ist auf der Suche nach einer tragfähigen Lösung. Ein Sicherheits- und Evakuierungskonzept muß her, damit der Turm in absehbarer Zeit wieder für den Publikumsverkehr zur Verfügung stehen kann. Die Chancen hierfür scheinen nicht schlecht zu stehen.

Doch nun lassen Sie uns den Sprung vom Fernsehturm zum Fildertunnel wagen - also den Sprung vom überirdischsten Projekt Stuttgarts zum unterirdischsten.

Was ist zu tun, wenn es im Bereich des Fildertunnels zu einem Unfall mit Ausbruch eines Brandes kommt? Die Bahn geht in ihren Darstellungen immer davon aus, daß ein in Brand geratener Zug zur Evakuierung der Reisenden in den Tiefbahnhof einfahren solle, wo dann die notwendigen Maßnahmen unter deutlich günstigeren Bedingungen getroffen werden können als in einem gegenüber den anerkannten Regeln verengten Tunnelsystem. Nach Angaben der Bahn ist ein Zug selbst unter Vollbrandbedingungen noch mindestens 15 Minuten fahrfähig. Doch was geschieht, wenn der brennende Zug aus irgendwelchen Gründen keine freie Fahrt hat? Vielleicht steht ein vorausfahrender Zug noch vor dem Einfahrtsignal am Bahnhof und versperrt den Weg? Oder Fahrgäste ziehen in dieser Situation die Notbremse? Natürlich kann der Lokführer die Notbremsung überbrücken und damit aufheben. Doch in einer akuten Gefahrensituation kann auch die Notbremse wieder und wieder an anderer Stelle gezogen werden, was letztendlich dann doch zum Stillstand des Zuges führt. Auf die Fahrfähigkeit des Zuges kommt es in diesem Fall nicht mehr an.

Das Brandereignis muß über die Leitstelle an die Rettungsdienste gemeldet werden. Hierdurch tritt ein sogenannter Alarmplan in Kraft. Die Berufsfeuerwehr rückt zum Einsatzort aus, der unter Umständen in der Tunnelmitte liegen kann, also zunächst weit weg von den Rettungszufahrten zum Tunnel.

Noch während die Feuerwehr auf dem Weg zur Einsatzstelle ist, beginnt bereits die sogenannte Selbstrettungsphase. Die Reisenden sollen den Zug verlassen und sich über Querschläge in den Tunnel der Gegenröhre begeben, der als sicherer Bereich gilt. Was nun aber, wenn Reisende sich in der Gegenröhre befinden, die noch gar nicht für den Gegenverkehr gesperrt ist? Hier bestünde Lebensgefahr durch Zugverkehr im angeblich sicheren Bereich, daher wären voraussichtlich Vorkehrungen zu treffen, die solchen gefährlichen Ereignissen vorbeugen. Denkbar wäre die Überwachung der Verbindungstüren durch Sensoren und eine automatische Streckensperrung mit Nothaltauftrag an verkehrende Züge, sobald über einen Notgriff die Verbindungstüren geöffnet werden.

Eine solche Sicherheitseinrichtung, die die Gefährdung flüchtender Personen in der Gegenröhre ausschließen würde, könnte dazu führen, daß ein Gegenzug per Nothaltauftrag zum Stehen gebracht werden muß und daß dieser die Zufahrtsmöglichkeit für die Rettungskräfte behindert. Doch wie sollte in diesem Fall der Tunnel dann noch freigefahren werden, wenn sich entlang der Strecke Personen im Gleis befinden?

In der Planung des Rettungskonzeptes Fildertunnel kommen Erschwernisse oder ungünstige Einsatzszenarien nicht vor. Die in den Planfeststellungsunterlagen diskutierten sogenannten Worst-Case-Szenarien entpuppen sich bei genauerem Hinsehen eher als Idealfälle. Aus meiner langjährigen Erfahrung bei der Feuerwehr weiß ich, auf welche wesentlichen Punkte es im Einsatzfall ankommt und welche Eingreifzeiten relevant sind:

Am wichtigsten ist der vorbeugende Brandschutz. Die Dauer der Selbstrettungsphase sollte möglichst kurz sein, Hilfskräfte treffen möglichst rasch am Ort des Geschehens ein.

Maßgebend für den Erfolg der Evakuierung ist die Zeitdauer, bis sich alle Personen in einem sicheren Bereich befinden. Je kürzer diese Zeit, umso höher die Überlebenschance für die Beteiligten bei schweren Ereignissen.

Zu guter Letzt ist eine gute Zugänglichkeit des Brandherdes erforderlich, damit auch ein erfolgversprechender Löschangriff möglich wird. Dies dürfte problematisch werden, wenn sich der Brandherd an der Unterbodengruppe befindet. In Frage kommt hierbei der ICE3, bei dem die relevante Hochspannungs- und Antriebstechnik unterflur über den ganzen Zug verteilt ist. Ein solcher Brandherd wäre in diesem engen Tunnel aller Voraussicht nach unzugänglich. Während der gesamten Evakuierungsphase müssen die Fluchtwege raucharm und die sicheren Bereiche rauchfrei gehalten werden. Dies dürfte mit fortschreitender Zeit immer schwieriger werden. Die Bahn setzt hier auf den sogenannten Kamineffekt, der den Rauch durch das Filderportal abziehen lassen soll.

Unterstützen sollen dies Turbinen, die am unteren Ende des Tunnels über das Schwallbauwerk Ost Luft die Tunnelröhren hochblasen sollen. Damit das funktioniert, müssen gewaltige Schotts im Bereich der Bahnhofszufahrt geschlossen werden und dafür sorgen, daß die Luft nicht in die Bahnhofshalle oder in Richtung Untertürkheim abhaut. Ab diesem Moment verfügt Stuttgart über einen achtgleisigen unterirdischen Kopfbahnhof. Nicht daß ein Havariefall im Fildertunnel dramatisch genug wäre, aber auf diese Weise bricht dann der restliche Verkehr auf den an sich nicht betroffenen Strecken auch noch zusammen. Soll nun jedoch die Feuerwehr durch dir untere Rettungszufahrt in das Tunnelsystem einfahren, so muß sie mindestens das Zufahrtstor öffnen, eventuell auch ein Trennschott, um in die zweite Tunnelröhre zu gelangen. In dieser Zeit dürfte die Wirkung der Entrauchungsmaßnahmen stark eingeschränkt sein.

Uns Ingenieuren22 sind bisher keine strömungsdynamischen Betrachtungen bekannt, die zweifelsfrei belegen, daß die im Rahmen des Rettungskonzeptes Fildertunnel geplante Entrauchungsmaßnahme überhaupt funktioniert und effizient genug arbeiten kann, um zu verhindern, daß im Tunnel flüchtende Passagiere giftige Rauchgase einatmen müssen.

Wie sicher wird also der Fildertunnel bei Brandereignissen sein, wenn der brennende Zug im Tunnel anhalten muß oder liegenbleibt? Wir Ingenieure22 sind dieser Frage nachgegangen und haben uns nach Ergebnissen von Evakuierungsübungen erkundigt. Im Dezember 2012 wurde ja bekanntlich im Breisgau der Katzenbergtunnel eröffnet. Dieser ist mit dem Fildertunnel ein wenig vergleichbar, allerdings bietet er durch einen höheren Innendurchmesser im Gefahrenfall den Flüchtenden wie auch den Rettungskräften erheblich mehr Platz. Kurz vor der Eröffnung wurde eine Evakuierungsübung mit den örtlichen Feuerwehren durchgeführt. Das Szenario sah vor, daß ein liegengebliebener Zug im Tunnel evakuiert werden sollte. Insgesamt befanden sich 300 Personen im Zug, die alle in einen sicheren Bereich gebracht werden mußten.

Wir wollten nun vom Eisenbahnbundesamt wissen, wie lange es denn gedauert habe, bis nach dem Anhalten des Zuges alle Personen diese sicheren Bereiche erreicht hatten. Zunächst erhielten wir eine aus Textbausteinen elaborierte Antwort. Die genauere Nachfrage ergab, daß das Eisenbahnbundesamt angeblich die Ergebnisse dieser Rettungsübeung nicht kenne. Man verwies uns daher auf die Vorhabensträgerin DB, welche uns weitere Auskünfte nicht geben wollte. Der Katzenberg schweigt also. Damit bleibt eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Rettungsübung im verborgenen. Ein Ergebnis, das von ganz entscheidender Bedeutung für die Sicherheit der Reisenden ist. Wie lange dauert die Evakuierung aller Reisenden in einen sicheren Bereich? Wie lange hätte sie gedauert, wenn nicht 300 Reisende, sondern 1800 Reisende in einem Doppelstock-Fernzug unterwegs gewesen wären? Die Bahn macht diese Informationen zu einem Staatsgeheimnis. Und das Eisenbahnbundesamt heißt Hase und weiß von nichts.

Wie kann eine Aufsichtsbehörde ihrer Aufgabe nachkommen und die Einhaltung der Brandschutz- und Katastrophenrichtlinien überwachen, wenn ihr angeblich nicht einmal die Ergebnisse der relevanten Brandschutzübungen bekannt sind?

Am Ende bleibt wieder OB Fritz Kuhn. Soweit die Brandschutzdirektion Stuttgart für die Sicherheit im Fildertunnel zuständig würde, wäre er der oberste Brandschutzdezernent. Die Sicherheit der Reisenden darf nicht verhandelbar sein. Insofern könnte der Fall eintreten, daß er oder einer seiner Nachfolger einst ähnlich dem Fall Fernsehturm zum Handeln gezwungen sein würden.